Schachurlaub in Finnland

  

Nach fast dreijähriger coronabedingter schachlicher Auszeit wagte ich mich in der 2.Julihälfte aus der Deckung und entschied mich für die erstmalige Teilnahme am 30. Heart of Finland Open im mittelfinnischen Jyväskylä, einer 140.000 Einwohner große Universitätsstadt inmitten einer idyllischen Seen- und Wälderlandschaft, ca. anderthalb Zugstunden nördlich von Tampere.

Auf denselben Gedanken kamen neben mir noch 133 weitere Teilnehmer(innen), davon in einem internationalen Feld ca. 1/3 Titelträger(innen) . Der Preisfond betrug ca. 20.000€. Angeführt wurde die Setzliste von den GM Fedorchuk (Ukraine), Heberla (Polen) und van Foreest (Niederlande). Ich selbst war einziger deutscher Teilnehmer. Eine Erfahrung, die ich bereits bei meiner erstmaligen Teilnahme am Open in Moskau in den Nullerjahren und auf den Faröern geniessen durfte.

Schach und Corona: Für mich war selbstverständlich, dass ich das Turnier ausschliesslich mit Maske bestreiten würde, was für meine Konzentrationsfähigkeit unproblematischer war, als ich zunächst befürchtet hatte. Für mich etwas überraschend taten mir dies jedoch nur eine Handvoll weiterer Spieler gleich. Irritiert musste ich auch zur Kenntnis nehmen, dass es niemanden zu stören schien, als sich in der vorletzten Runde an meinem Nachbarbrett ein Teilnehmer die Seele aus dem Leibe hustete. Ein ähnliches Bild bereits zuvor im Flieger von Air Baltic nach Tampere. Den Umstand, dass offensichtlich keine Maskenpflicht, sondern wie im ÖPV in Finnland selbst lediglich eine Maskenempfehlung herrschte, nutzten mindestens 80% auf ihre ganz spezielle Art und Weise, „Eigenverantwortung“ zu betreiben.

Finnland und Ukraine: Unübersehbar und wesentlich zahlreicher als bei uns im Strassenbild die Zeichen der Solidarität mit den Opfern von Russlands Angriffskrieg. Angefangen von Mahnwachen und Demonstrationen über blaugelb bepflanzte Blumenkübel vor einer orthodoxen Kirche in Tampere bis zu blaugelben Bändern mit entsprechender Inschrift um Bäume und Absperrbändern in den ukrainischen Nationalfarben.

Das Turnier: Ursprünglich in Helsinki geplant, stand das Open wegen eines unvorgesehenen Ausfalls des dort vorgesehenen Spiellokals bis wenige Wochen zuvor auf der Kippe. In Jyväskylä selbst wurde in zwei Räumlichkeiten gespielt. Die obere Hälfte durfte bei kostenlosen Kaltgetränken und Kaffee im Konferenzsaal eines Viersternehotels spielen, die „Patzerfraktion“ musste mit einer separaten Veranstaltungshalle ohne den Genuß kostenloser Getränke vorliebnehmen. Bemerkenswert und ein Beleg für die überlegene fremdsprachliche Schulbildung in den skandinavischen Ländern: sowohl Eröffnungsfeier als auch Siegerehrung fanden ausschliesslich in englischer Sprache statt! Gewöhnungsbedürftig und nicht unbedingt nachvollziehbar: Rundenbeginn um 12:00Uhr (!)

Der Schock- und Lernmoment: die Handys mussten vor Spielbeginn in der Nähe des Schiedsrichtertisches unter Namensnennung abgelegt werden. Ich hatte mir angewöhnt, dies lediglich unter Aktivierung des Flugmodus zu tun. In einer Runde war nach einiger Zeit unüberhörbar ein einmaliger Handysignalton zu hören. Erschrocken fiel mir ein, dass dies auf eine früheren Kalendereintrag auf meinem Handy zurückzuführen war. Neu war für mich jedoch, dass dieser sich auch im Flugmodus offensiv in Erinnerung bringt. Auch der Schiedsrichter war aufmerksam geworden und schritt zum Tisch mit den Handys. Banges Abwarten. Da das Handy sich jedoch im Etui befand und der Blick auf den Bildschirm dadurch verdeckt war, trottete der Schiri mangels weiterer Töne bald darauf wieder an seinen Tisch zurück. Puh! Glück gehabt.

Ergebnisse: Als 78. von 134 in der Setzliste gestartet, sprang am Ende ein angesichts der dreijährigen Pause mehr als befriedigender 70. Rang heraus. Ein geringfügiger Ratingverlust von acht Punkten war immensem Auslosungspech dergestalt geschuldet, dass ich gleich gegen zwei völlig unterbewertete finnische Mädchen antreten durfte, die ihr Land auch schon bei Jugendeuropameisterschaften vertreten hatten. In beiden Partien kam ich über ein Remis nicht hinaus, die Kiddies verzeichneten jedoch zum Turnierende einen Elozuwachs von 151 bzw. 122 Punkten … Es siegte der niederländische GM van Foreest, Turnierfavorit Fedorchuk belegte den 3.Rang.

Fazit: Wer ein familiäres, aber professionell ausgerichtetes Open in landschaftlich toller Umgebung sucht, dem sei die 31. Neuauflage des Heart of Finland Open 2023 wärmstens empfohlen!