Aus verklungenen Zeiten

  

1945. Ende und Neuanfang. Brot und Spiele. Eine kleine Erinnerungsszene vom

Nachkriegsschach in Heilbronn

Die Nachkriegszeit – von 1945 bis 1950, wenn man so will – war in jeder Hinsicht mit viel Verzicht und Entbehrungen angereichert. Brot war Mangelware, gespielt wurde auf der Straße: Räuber und Bolle. Die Eltern und die Älteren fingen wieder von Vorne an. Der große Bruder absolvierte eine Lehre und ich kam in die Schule. Das war 1947/48.

Im Jahr 1952, das Schlimmste war überstanden, da war ich Elf, ging in die Knabenmittelschule. Ein gewisser Löchner, (geb. 12.9.1915; gest. 18.2.2013), den alle den „Fidde“ nannten, entdeckten mich für den Schülerchor. Er war aus Böckingen, eine Respektsperson und spielte Schach. So wie der Bruder Wolf, (geb. 16.1.1930; gest. 3.8.2011), und mein Vater, der mithalf, den Schachverein zu gründen, und dessen 1. Vorsitzender er war. Für mich war das nebensächlich, es gab wichtigere Dinge.

Dennoch, im selben Jahr, gewann der Bruder die Heilbronner Meisterschaft, die Löchner 1948 ins Leben gerufen hatte. Mein Interesse am Schach stieg etwas. Zumindest was die alljährliche Stadtmeisterschaft betraf. Würde er auch 1953 wieder gewinnen?

Negativ. Ein gewisser Hans Karl, (geb. 20.6.1935), das „Käpsele“ (Löchner), und ebenfalls Böckinger, siegte, wie auch in den Jahren 54-56, dominierte fortan das damalige Schach in Heilbronn.

Im Jahr 1957 war mein Interesse immerhin so groß, dass ich mich eines Sonntag morgens aufraffte, um beim Spiel Heilbronner Schachverein gegen Stuutgart Bad Cannstatt zu kibitzen. Löchner spielte, Hans Karl, natürlich auch mein Bruder. Das Schwergewicht bei den Cannstattern war Theo Schuster, (geb. 3.4.1911; gest. 1.9.1998), an Brett 1, württembergischer Meister, Nationalspieler und noch einiges mehr.

Die Begegnung fand im Paulinenhof statt, damals ein renommiertes Lokal. Ob die Heilbronner den Cannstattern. die favorisiert waren, Paroli bieten konnten? So gänzlich ausgeschlossen war das nicht. Jedenfalls herrschte Spannung.

Ich betrat das rauchgeschwängerte (!) Hinterzimmer. Meine Aufmerksamkeit galt zunächst dem ersten Brett, Karl gegen Schuster. Ich war gerade noch rechtzeitig gekommen, denn eben erläuterte Hans Karl dem neben ihm sitzenden Löchner, mit welcher „Opferorgie“ ihn Schuster besiegt hatte. In mancherlei Publikationen zu dieser Partie ist gar die Rede von der „unsterblichen“ Heilbronner Partie.

An diesen Augenblich erinnere ich mich heute noch ganz genau, auch an den ungläubigen Ausdruck auf Löchners Gesicht. Es schien mir, als hätte dieser noch nicht ganz begriffen, was sich damals ereignete, nämlich eine Glanzpartie zwischen einem Meisterspieler und einem, dessen beste Jahre noch kommen sollten: Hans Karl, der bald darauf in die Schweiz auswanderte, und dort ein bekannter Schweizer Meisterspieler (FM) und vielfacher Seniorenmeister wurde. U.a. hat er auch einmal den Exilrussen Viktor Kortschnoj hereingelegt, will sagen geschlagen. Aber das ist Geschichte.

Was mich betrifft: erst 55 Jahre später habe ich angefangen, mich näher mit dem Schachspiel zu beschäftigen. Dies allerdings rein zufällig.

Anmerkung: Hans Karl, inzwischen 80-jährig und nach wie vor auf Schachturnieren zu finden, kommt am 19.06.2015 um 19.00 Uhr zu uns ins Siedlerheim und berichtet über sein Schachleben. Gäste sind herzlich willkommen.